Naturbräuche als Vorläufer der Fasnacht?
Fasnacht, Karneval - schöne Erinnerungen kommen auf! Schweizer Städte und Dörfer verwandeln sich während der Fasnacht in ein kunterbuntes Festgeschehen, wo Spass und Ausgelassenheit für Klein und Gross auf dem Programm stehen.
Doch wie kommt es, dass bei den traditionellen Fasnachtsumzügen beängstigende Kreaturen wie Dämonen oder Teufel sowie Naturgeister und Tiergestalten neben Narren, kurrligen Wesen und Fantasiefiguren durch die Gassen ziehen? Und warum ist Fasnacht immer mit so viel Lärm verbunden?
Wenn die Sonne nicht wiederkäme
Alte Bräuche und Traditionen sind oft mit der Natur verwurzelt und folgen dem Jahreszyklus: Zahlreich sind die Feste, die den Frühling, den Sommer und den Herbst für Ihre Üppigkeit ehren. Ausgiebig gefeiert wird auch im Winter. Wenn auch Adventszeit, Weihnachten und Dreikönigstag heute unsere Herzen erfreuen und den Winter positiv prägen, war das nicht immer so.
Der Winter war früher mit grossen Ängsten und Sorgen verbunden: Die Menschen mussten mit Krankheiten, Nahrungsmittelknappheit und eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten leben und kämpften oft ums Überleben.
Auch verstand der Mensch vor einigen Jahrhunderten die Phänomene der Jahreszeiten und der Natur nicht so wie heute. Besonders das Absterben der Natur im Winter und ihre Wiederauferstehung im Frühling erfüllte ihn mit Angst und Ehrfurcht. Die guten Geister und die Kräfte der Natur wurden verehrt und der Ahnenkult gepflegt, um sich vor bösen Geistern zu schützen.
Mit Rambazamba den Winter vertreiben
Ja, die Menschen waren überzeugt, dass herumirrende Geister und Dämonen den erlösenden Frühlingseinzug verhinderten! So sollten zahlreiche Rituale mit viel Lärm und furchteinflössenden Masken und Verkleidungen die Natur aus dem Winterschlaf erwecken und die bösen Geister verjagen.
Wusstet ihr, dass es bei Verkleidung und Maske nicht nur darum ging, einen Geist oder einen Dämon darzustellen? Nein, der Träger oder die Trägerin sollte durch die Verkleidung tatsächlich selbst zu einem werden! Lediglich für eine gewisse Zeit natürlich. Nur so wagten es die Menschen bei der Wintervertreibung die bösen Geister herauszufordern.
Diese Traditionen und Bräuche legten unter anderem den Grundstein zur Fasnacht. Spannend, nicht?
Kennt ihr den Schriftsteller Ramuz? Möchtet ihr mehr darüber erfahren, wie hart die Existenz für die Bergbevölkerung im Winter war, dann lest seinen Roman «Wenn die Sonne nicht wiederkäme». Eindrucksvoll!
Und wieso Fasnacht oder Karneval?
In den reformierten Kantonen war die Fasnacht lange Zeit verboten, sie etablierte sich erst viel später wieder. Die katholische Kirche hingegen eignete sich die heidnischen Winterbräuche auf ihre Weise an. Sie wurden zur «Fas(t)nacht». Der Begriff ist eine Kombination aus «fasten» und «Nacht»; die Nacht vor der Fastenzeit. Auch das erstmals in Rom im 13. Jahrhundert erwähnte Wort «carnevale», setzt sich aus «carne» (Fleisch) und «levare» («carne levare» = das Fleisch wegräumen) zusammen. In der Tat, bis zum Fetten Dienstag, dem Mardi Gras um Mitternacht durfte man laut und ausgelassen feiern und tüchtig essen, am Aschermittwoch begann dann die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern.
Ja, es gibt viele Theorien, warum es die Fasnacht gibt und woher die Fasnachtsbräuche überhaupt stammen: Neben obengenannter Wintervertreibung und der Fasnacht als christlichem Fest, um vor der Fastenzeit nochmals über die Stränge zu schlagen, wird oft auch das «Saturnalienfest» aus dem alten Rom als möglicher Ursprung genannt. Ein Fest, bei dem die Ordnung der Dinge vollständig auf den Kopf gestellt wurde: Die Narren regierten und für ein paar Tage herrschte Anarchie im alten Rom… Kommt euch das nicht bekannt vor?
In der Vielfalt liegt die Würze
Sicher ist, dass die heutige Schweizer Fasnacht eine bunte Mischung aus verschiedenen Sitten und Bräuchen ist: Ahnenkult, heidnische Winterbräuche und Fruchtbarkeitsrituale keltischen und germanischen Ursprungs sollen den Grundstein gelegt haben und Waffenschauen der Zünfte, Ritterturniere oder traditionelle Feste vor der kirchlichen Fastenzeit sowie weltliche Volkssitten und historische Ereignisse sollen die Bräuche mitgeprägt haben.
Die Fasnacht wird heutzutage fast überall gefeiert, manchmal schon seit über 100 Jahren, manchmal erst seit 30 Jahren oder weniger.
Lasst uns mal reinschauen!
Fasnachtsfeiern in der Schweiz
Zu den bekanntesten Anlässen gehören die Basler und Luzerner Fasnacht, der Rabadan in Bellinzona oder der Chienbäse in Liestal und die Tschäggättä im Lötschental sowie die Fasnacht in Freiburg oder noch die Brandons im Waadtland. Natürlich gibt’s noch viele mehr! Bereit für eine kurze Entdeckungsreise?
Basler Fasnacht
«Morgestraich – vorwärts, marsch!» So beginnt in Basel am Montag nach dem Aschermittwoch (also eine Woche später als anderswo) die Fasnacht um 4 Uhr morgens. Der weltbekannte Morgenstreich taucht die Innenstadt in ein Lichtermeer von handbemalten Laternen. Piccolo-Flöten und Trommeln begleiten das faszinierende Spektakel!
Bâle bénéficie d'un statut particulier en matière de carnaval : les traditions et coutumes ancestrales ont toujours été perpétuées malgré l'interdiction de la Réforme. Cette rébellion contre des autorités répressives a marqué le carnaval de Bâle. Aujourd'hui encore, il aborde des thèmes politiques, culturels et sociaux qui sont traités avec une plume acérée dans les “Schnitzelbänke” (les satires de carnaval) et sur les lanternes. Aïe !
Basel hat in Sachen Fasnacht einen Sonderstatus: Die alteingesessenen Traditionen und Brauchtümer wurden trotz Verbot der Reformation stets weitergeführt. Dieses Aufbegehren gegen eine repressive Obrigkeit hat die Basler Fasnacht stark geprägt. Noch heute greift sie Themen aus Politik, Kultur und Gesellschaft auf, die mit spitzer Feder in den Schnitzelbänken und auf den Laternen thematisiert werden. Au weia!
Berner Fasnacht
Dass Bern für seine Bären bekannt ist, wisst ihr sicherlich, aber dass es in Bern sogar einen Fasnachtsbären gibt? Jeweils am Donnerstag (auch wieder nach Aschermittwoch) wird er bei der sogenannten Bärenbefreiung aus seinem Winterschlaf im Käfigturm geweckt – und die Fasnacht beginnt!
Der Bär gilt als Symbol des Neuanfanges, denn ist sein Winterschlaf beendet, kommt der Frühling!
Die Brandons in der Westschweiz
Der Karneval trägt in Payerne, Yverdon, Grandson und Moudon den Namen «Brandons». Brandons sind die «Höhenfeuer», die am ersten Sonntag der Fastenzeit auf den Anhöhen abgebrannt wurden. Mit einem Fackelzug zog man vom Dorf bis zu diesen Feuern und tanzte drum herum, um den Winter und die Kälte zu vertreiben.
Später kam die Guggenmusik dazu und die Brandons wandelten sich zu klassischen Fasnachtsfesten.
@ Brandons de Moudon
Die Tschäggättä im Lötschental
Im abgelegenen Lötschental im Wallis hat der ländliche Brauch der Tschäggättä fast unverändert überlebt… Um damals mit wildem Treiben und Lärm die Sonne von den bösen Wintergeistern und Dämonen zu befreien, schlüpften die Bewohner des Tals in die Haut furchteinflössender Wesen: Sie trugen schreckliche Masken aus Arvenholz, waren in Ziegen- oder Schafspelze gehüllt und machten mit Kuhglocken Radau! Schaurig…
Heute erschrecken sie mit dem Brauch nur noch Dorfbewohner und das gelingt noch immer fürchterlich gut!
@ Tschägättä dans le Lötschental
Der «Rabadan» im Tessin
Die Narren sind los! Im Tessin, genauer gesagt in Bellinzona, heisst der Karneval «Rabadan», was «Lärm» oder «Radau» bedeutet. Am «Schmutzigen Donnerstag» erhält der Fasnachtskönig Rabadan vom Stadtpräsidenten den Schlüssel zu den Stadttoren. Dann haben Narren sechs Tage lang das Sagen.
Auch anderswo im Tessin übernehmen Fasnachtskönige und ihre Narren das Regiment: in Biasca ist es der Re Naregna (König Lachanfall) und in Muralto der Re Sbotapiss (König Fischschlitzer). Wie lustig!
Nur schon diese kurze Überschau hat uns gezeigt, dass die Schweizer Fasnachtsbräuche, wenn sie auch Gemeinsamkeiten haben, je nach Region verschiedene Geschichten, Bedeutungen und sogar Daten haben. Wie es sich für unsere föderalistische Schweiz gehört, oder?
Lebendiges kulturelles Erbgut
Wie auch damals brauchen die Menschen heute Feste und Bräuche, die sie durch das Jahr führen und das alltägliche Leben und die Jahreszeiten mit Höhepunkten krönen. Sie führen die Gesellschaft zusammen und hinterlassen unvergessliche Erinnerungen. Fasnacht ist eine der lebendigen Traditionen, dank denen auch die nächsten Generationen mit dem Schweizer Brauchtum verwurzelt bleiben.
Denn werden den Menschen die Traditionen entzogen, fehlt etwas Fundamentales. Das hat uns die Pandemie gezeigt. Nach einer langen Pause nimmt die Fasnacht im Jahre 2022 langsam wieder Fahrt auf. An manchen Orten findet sie noch nicht wieder statt, an manchen Orten eingeschränkt: je nach Region, Datum und aktuellen Empfehlungen und Regelungen. Hoffen wir also, dass ab nächstem Jahr wieder unbekümmert gefeiert werden kann!
@ Brandons de Moudon