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Die Wechselbeziehung von Kunst, Natur und Mensch

Seht ihr euch gerne Ausstellungen an? Museen sind für euch magische Orte oder sogar Seelenbalsam?  Dann habt ihr sicherlich bemerkt, dass in der zeitgenössischen Kunst die Sujets Natur, Klimawandel und Umwelt allgegenwärtig sind. Zu Recht, doch geht mit diesen Themenstellungen auch das zwiespältige Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur einher! Es ist eine existenzielle und zugleich gestörte und empfindliche Beziehung: Der Mensch braucht die Natur, er ist Natur und doch möchte er sich über sie erheben, sie unterwerfen. Wie soll das aufgehen? 

Kunstwerke in der Natur

Land Art mit Tannenzweigen ohne Baumrinde
Kunstwerk und Foto von Sylvain Meyer

Kunst als Ausdruck des Menschen, als einzigartiges Zeitzeugnis, erschliesst uns mit ihren Mitteln die menschliche Vorstellungswelt. Gerade die Landschaftsmalerei und später andere Kunstformen dokumentieren über Jahrzehnte hinweg den gesellschaftlichen und ideologischen Wandel, der auch auf die Verbindung zur Natur einen grossen Einfluss hat. Bereit für eine kulturelle Reise? Was euch unterwegs erwartet:  

Eine malerische Reise durch die Zeit 

Die Rückbesinnung auf die Natur 

Natur als Kunstwerk 

Künstler engagieren sich für die Umwelt 

Kunst als Keimzelle für Veränderung (Interview mit Delphine Costier) 

Kunst im Dialog 

Eine malerische Reise durch die Zeit

Lasst uns mit dem Ausklang des Mittelalters und dem Anfang der Renaissance beginnen, wo die Entdeckung der Perspektive zu einem neuen Welt- und Raumverständnis führt. Dank neuer Darstellungsmöglichkeiten, wie der Erfassung des dreidimensionalen Raumes auf der Bildebene, neuer Techniken und Materialien wird die Natur in der Kunst immer wichtiger.  

Die Welt wird fassbarer, der Mensch beginnt über seinen Platz in der Schöpfung nachzudenken und seine eigenen Möglichkeiten wie auch Sichtweisen zu erforschen.  

Die genaue Beobachtung der Landschaften und die realistischen Darstellungen zeugen von der zunehmenden wissenschaftlichen Haltung dieser Zeit. Die Landschaftsmalerei etabliert sich dann im 17. Jahrhundert als eigenes Genre.

Landschaft mit Brücke und See

Claude Lorrain, Landschaft bei Rom mit Blick auf die Ponte Molle, 1645
Foto vom Birmingham Museums Trust, unter CCO lizenziert

Im 18. Jahrhundert folgt das Zeitalter der europäischen Aufklärung, in dem die menschliche Vernunft zum Massstab eines jeden Handelns wird. «Les Lumières» auf Französisch, das Licht der Vernunft, die helle Zukunft im Gegensatz zum düsteren Mittelalter. Fortschritt ist das Leitwort, Rationalität steht über alten Traditionen. Naturphänomene werden erklärbar und der Mensch emanzipiert sich. Mit dem Siegeszug der Wissenschaft verändert sich auch das Verhältnis des Menschen zur Natur grundlegend. 

Doch in der Kunst steuern die gefühlsvollen Romantiker des späten 18. Jahrhunderts diesem neuen Weltbild entgegen! In der grandiosen, wilden und übermächtigen Natur – angelehnt an die Vorstellungen des Mittelalters – finden sie einen Weg, ihre subjektive Gefühlswelt und Sehnsüchte wie auch die Komplementarität von Geist und Natur auszudrücken. Die gewaltige Kraft der erhabenen Natur wird in Szene gesetzt wie eine Warnung, sich ihr entgegenzustellen. Die Landschaftsmalerei ist in ihrer Blütezeit! 

Stürmisches Meer, Schiff und Menschen

Claude Joseph Vernet, Ein Sturm an einer Mittelmeerküste, 1767
Foto von Pixabay

Im 19. Jahrhundert verändert und modernisiert die industrielle Revolution das Leben der Menschen weiter. Die Waren werden dank Massenproduktion in Fabriken billiger, die Städte wachsen rasant, die Menschen werden mobiler.  

Mit der Erfindung der Fotografie endet die Ära der klassischen Landschaftskunst. Der Impressionismus läutet den Beginn der modernen Landschaftsmalerei ein: Dank neuer Techniken können Künstler im Freien malen. Die Wirkung des Lichts, subjektive Eindrücke, verschiedene Atmosphären werden zum Bildthema. Eine andere Beziehung zur Natur, sensibel und poetisch, entsteht: die Freilichtmalerei. Sie steht im totalen Kontrast zu einer Gesellschaft, die sich von der Natur entfernt und sie zerstört. 

Seerosen in einem Teich und Spiegelungen

Claude Monet, Wasserlilien, 1906
Foto vom Art Institute Chicago, unter CCO lizenziert

Mit der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert kommt die Zeit des grossen Umbruchs: Kriege, der Anfang der Konsumgesellschaft und der Digitalisierung, soziale und politische Umschwünge sind nur einige Ereignisse, die das neue Jahrhundert prägen. Der Fortschritt steht mehr denn je im Vordergrund und die Urbanisierung schreitet stark voran. 

In diesen Zeiten, wo der Mensch weiter auf die Natur eindringt, sie verdrängt und sie seinem Zweck unterwirft, rückt auch die Darstellung der Natur in den Hintergrund: Kunst wird abstrakt und konzeptuell, die Leitlinien der Akademie werden gesprengt. Das Zeitalter der Moderne und der gegenstandslosen Kunst ist angebrochen.  

Museumsbesucher vor Bilder abstrakter Kunst

Bilder von Piet Mondrian (1872 – 1944)
Foto von Ernest Ojeh, Unsplash

Der 2. Weltkrieg markiert den traurigen Tiefpunkt der rasanten Veränderungen des 20. Jahrhunderts und führt unter anderem mit der Erfindung von Kernwaffen zu einer humanitären und ökologischen Katastrophe. Der Fortschritt ist zu weit gegangen…

Die Rückbesinnung auf die Natur

Die Kunst verändert sich nach dem Schock des 2. Weltkrieges.  Einige Künstlergruppen wenden sich wieder verstärkt der Natur zu und hinterfragen die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Die Ära der Überlegenheit ist vorbei.  

In den 1960er Jahren entsteht der Ansatz der Land Art in den Vereinigten Staaten, wo sich viele Künstler nach Ihrer Auswanderung während des 2. Weltkriegs niedergelassen haben. Diese Kunstform leistet Pionierarbeit für die heutige nachhaltige Kunstkultur in Europa und ist euch sicherlich auch in der einen oder anderen Form bekannt, oder?

Frau fotografiert Kunst in der Natur

Land Art, Kunstwerke in der Natur
Foto von Darwin Vegher, Unsplash

Natur als Kunstwerk

Mit natürlichen Materialien wie Holz, Erde und Sand sowie Steinen und Wasser entsteht bei der Land Art ein harmonisches Zusammenspiel von Kunst und Natur. Die Künstler wollen – wie auch schon die Impressionisten – der Natur im Freien begegnen. Landschaft selbst wird zu Kunst. Dieses neue Denken markiert einen Wendepunkt. Die innovative Verbindung von Kunst und Natur wird für viele Künstler zu einem ökologischen und umweltpolitischen Engagement.

Bilderrahmen in der freien Natur

Natur selbst wird zu Kunst
Foto von Sante Capobianco, Unsplash
 

Künstler engagieren sich für die Umwelt

Land Art, Environmental Art und Eco Art sind Begriffe, die die Kunst des 21. Jahrhunderts prägen. Die Gesellschaft wird sich immer bewusster über die fortschreitende Zerstörung der Umwelt und ihre Verwundbarkeit. Künstler entwickeln ihre eigenen Konzepte, um sich mit der Umweltproblematik zu beschäftigen. Die Erkenntnis, dass das Schicksal der Natur eng mit dem unseren verbunden ist, bahnt sich in allen Gesellschaftsschichten langsam einen Weg. Und gerade Kunst hat die Macht, ein Problembewusstsein zu schaffen, kann Wandel anstossen. Denn Kunst appelliert nicht in erster Linie an den Verstand, sondern ans Herz. Könnt ihr es fühlen?

Kunst als Keimzelle für Veränderung

Delphine Costier, eine Künstlerin aus Yverdon-les-Bains, verleiht der Künstlergeneration des 21. Jahrhunderts in unserem Interview eine Stimme und erklärt uns ihren Ansatz.  

In ihren Werken betrachtet Delphine die Beziehung zwischen Natur und Mensch aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei geht es ihr vor allem darum, Bewusstsein zu schaffen. Spannend! Lasst uns in ihre Welt eintauchen. 

Künstlerin in ihrem Atelier

Delphine Costier in ihrem Atelier, 2023
Foto © SarahCarp 

Bei Ihrer künstlerischen Arbeit – «L’Instant Présent» (Der gegenwärtige Augenblick) – geht es um ein alarmierendes und immer akuteres Thema: den Gletscherschwund. Was ist das Konzept dieses Projektes? 

Delphine C.: Ich habe mit diesem Projekt im Jahre 2018 begonnen, als ich in einem Artikel gelesen habe, dass die Gletscher einer Studie gemäss in 90 oder 100 Jahren verschwunden sein würden, wenn sich die Erde weiterhin so stark erwärmt wie in den letzten Jahren. Ich sah diese Zahl vor mir und dachte: Wow, das ist unwahrscheinlich kurz für Gletscher, die schon seit Jahrtausenden existieren. Ich habe sofort eine Verbindung zwischen der Lebenserwartung eines Menschen und derjenigen eines Gletschers gemäss Studie hergestellt. Für Gletscher ist es ein sehr kurzer Zeitraum, doch für uns sind 100 Jahre Synonym für ein langes Leben! Es ist mir bewusst geworden, dass unsere Generation das Ende der Gletscher und parallel auch dasjenige ihres eigenen Lebens erlebt. Das ist erschreckend.  

Meine Arbeit hat immer diese Parallele zum Menschen hergestellt, ich mag es, Resonanzen auszulösen. 

Und wie konnten Sie diese Idee künstlerisch umsetzen? 

Für die erste Serie - denn es gibt mehrere Serien - habe ich den Aletschgletscher gewählt, einer der grössten Gletscher der Schweiz. Um eine Verbindung zwischen den Gletschern und dem Menschen herzustellen, hatte ich die Idee, die Herzfrequenz in den Vordergrund zu stellen - das schlagende Herz, die Essenz des Lebens. 

Für die Darstellung des Gletschers bin ich von einer Satellitenaufnahme ausgegangen und habe eine Modellzeichnung angefertigt. Davon leitete ich gemäss meiner Herzfrequenz pro Minute 65 verschiedene Aquarellzeichnungen ab. So entstand meine erste Serie von Zeichnungen, für die ich die Farbe Indigo gewählt habe. Diese Farbe lädt in ihrer Referenz dazu ein, den gegenwärtigen Augenblick zu leben. Monochrome Farbpaletten sind wichtig in meiner künstlerischen Arbeit, sie charakterisieren sie.  

Aquarellzeichnung Fünfundsechzig Pulsschläge/Minute

Zeichnung aus der Serie – Fünfundsechzig Pulsschläge/Minute 2018 ©DelphineCostier 

Ausstellung « L’Instant Présent », Aquarellzeichnungen

Ausstellung « L’Instant Présent », Club d’Art Contemporain (CdAC)
Foto © RosaDasilva
 

Sie sprechen von mehreren Serien, was bedeutet das? 

In der Tat endet mein Projekt nicht mit diesem einen Gletscher. Seit 2018 führe ich meine künstlerische Arbeit jedes Jahr mit einem anderen Gletscher, mit einer anderen Farbe und mit einer unterschiedlichen Anzahl Zeichnungen – gemäss meinem Pulsschlag pro Minute zum jeweiligen Zeitpunkt – fort. Und das bis zum Ende meines Lebens. 

Künstlerin steht vor einem Gletscher

Delphine Costier, Rhonegletscher, Wallis
Foto © DelphineCostier

Eindrücklich! Ein echtes Lebenswerk also.  

Ja, dabei geht es mir in erster Linie darum, ein Bewusstsein zu schaffen. Oft heisst es: Wir müssen die Natur retten! Aber wir sind Teil dieser Natur, wir sind Natur! Und sind wir mit ihr verbunden, dann richten sich auch unsere Entscheidungen danach. Besteht diese Beziehung nicht, dann handeln wir auch dementsprechend. Ich möchte diese Wahlmöglichkeit hervorheben und ins Bewusstsein rufen, dass es an uns liegt, diese Verbindung herzustellen. Alles ist miteinander verknüpft. 

Umweltthemen sind in der heutigen Kunst allgegenwärtig. Kann Kunst die Menschen auf andere Weise aufrütteln? 

Delphine C.: Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch Botschaften verschieden aufnimmt, sei es zum Beispiel über die Medien, in einem Gespräch oder durch eine Ausstellung. Die Kunst hat eine Rolle als Bote, als Vermittler zu spielen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, braucht es ein vielfältiges Angebot an Medien, die das Gleiche thematisieren. Und Kunst berührt die Menschen, indem sie Emotionen vermittelt. Auf diesem Weg nimmt der Mensch die Botschaft anders auf und gibt ihm die Möglichkeit, ein neues Verständnis zu entwickeln.  

Nehme ich das Beispiel des oben erwähnten Artikels, hätte vielleicht jemand anders ganz einfach gedacht: "Oh, das ist das Ende der Gletscher" und wäre dabei geblieben. Vielleicht erreicht ihn aber meine künstlerische Arbeit auf eine andere Art, da ich eine Verbindung zum Menschen hergestellt habe, was auf ihn selbst als Person Bezug nimmt. Möglicherweise wird ihn das mehr berühren als das Lesen des Artikels. Das gleiche Thema wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln angegangen und zeigt verschiedene Sichtweisen. Kunst ist ein wichtiges Kommunikationsmittel!  

Danke Delphine!

Kunst im Dialog

Habt auch ihr gespürt, wie unentbehrlich Kunst in der Gesellschaft ist? Ja, Kunst hat eine Aufgabe: sie kommuniziert, schlägt Brücken, spiegelt gesellschaftliche Debatten wider, regt zur Diskussion an, hinterfragt. Und sie berührt die Seelen der Menschen, sensibilisiert sie und schafft mit den Mitteln, die ihr eigen sind, einen emotionalen Zugang zur Natur. Kunst zeigt uns immer wieder neue Wege, wie auch schon in der Vergangenheit. Ergründet neue Horizonte und lasst Kunst auf euch einwirken. Bereit?

Kunstwerk «Eclore» von Delphine Costier

Detail «Éclore 1937»
Foto @ SarahCarp

BIOGRAFIE

Delphine Costier wurde 1977 in Lausanne geboren. Ihr erstes Diplom erwarb sie 1998 an der Kunsthochschule Wallis. Nach verschiedenen Erfahrungen im Ausland, wo sie unter anderem ihr Diplom als Innenarchitektin machte, kehrte sie 2006 in die Schweiz zurück. Sie gründete ihr eigenes Künstleratelier, zunächst in Lausanne und ab 2011 in Yverdon-les-Bains, wo sie mit ihrer Familie lebt. 

https://www.delphinecostier.ch 

Skizzen zum Projekt «Éclore», Delphine Costier
Natur in der Kunst - Skizzen

Croquis «Éclore 1999»
Foto @ DelphineCostier

 

Ausstellungen Delphine Costier in 2023 

Galerie Les Dilettantes, Sion  

Vorstellung des Projektes «L’Instant Présent» und der dazugehörigen Box in limitierter Auflage. 

18. März – 8. April 2023 

« L’Instant Présent », Box, limitierte Auflage

Coffret No 1 « L’Instant Présent »
Foto @ DelphineCostier

L’art au fil du Talent 

Espace Culturel Assens 

Skulpturen unter freiem Himmel, Asssens, Bottens, Echallens 

Präsentation einer in den Bäumen hängenden Installation des Projektes «Éclore». 

14. Mai – 24. September 2023 

Künstlerische Residenz/Pop-Up Ausstellung 

Fondation WRP, Genf 

Vorstellung des Projektes «Éclore» und Realisation eines künstlerischen Werkes In Situ. 

9. – 15. Juli 2023 

Galerie d’art kaminska & stocker 

Gruppenausstellung, Vorstellung eines Teils des Projektes «Nature Humaine». 

5. – 21. Oktober 2023 

Andere Ausstellungen zum Thema Mensch und Natur 

Planetopia – Raum für Weltwandel 

Museum für Kommunikation, Bern 

13. November 2022 – 23. Juli 2023 

Natur. Und wir? 

Stapferhaus, Lenzburg 

30. Oktober 2022 – 29. Oktober 2023 

Erde am Limit 

Kulturama- Museum des Menschen, Zürich 

21. Oktober 2022 – 16. Juli 2023